Seelenfresser

06:21

Wie nennt man das Phänomen, wenn man meint, etwas unbedingt haben zu müssen und sobald es hat, verliert man das Interesse daran? 
Lust? Gier? Habsucht? Sind wir eigentlich irgendwann mal zufrieden mit uns? Mit dem Körper, in dem wir stecken, mit dem Betrag auf dem Kontoauszug, mit dem Nachbarn, den wir haben, mit dem was wir haben, was wir sind? Ja und nein. In manchen wachen Momenten könnte man meinen, jetzt habe man alles, man brauche nichts, man ist gut wie man ist und sollte sich des Lebens freuen.

Und wenn man dann schließlich mit dieser Erkenntnis die Tür heraustritt, und fröhlich den Nachbarn grüßt, den man eigentlich nicht ausstehen kann, dann fühlt man sich wie ein guter Mensch. Oder etwa nicht? Man hat also innerlich Seelenputz begangen und dann passiert etwas Unerwartetes. Der Exfreund mit seiner unausstehlich ansehnlichen Freundin biegt um die Ecke, die Katze wird krank oder das Rad auf das man sich fröhlich schwingen wollte, ist plötzlich weg. Verdammter Scheißtag, denkt man sich, setzt sich aus Zeitnot in die nächste Bahn, wird prompt nach dem Ticket gefragt, da man als Schwarzfahrer öfter kontrolliert wird als als Bahncardinhaber und würde am liebsten alle Welt zum Teufel schicken. Man verwünscht den Nachbarn, der sicher das Rad geklaut hat, die Katze, weil die Arztkosten so hoch sind, dass man sich kein neues Rad leisten kann und den Kontrolleur, weil er einen Job hat, der unnötiger ist als Kater nach einer verzechten Nacht. Und ja, diese blöde neue Freundin hat so lange, dünne Beine und so prominente Wangenknochen, die war sicher mal ein Mann. Wieder zuhause angekommen, sieht man, dass in der Zwischenzeit ein gelber Zettel reingeflattert ist, man solle das Paket am nächsten Tag in der Postfiliale hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen abholen und der Zoll wolle auch noch den einen oder anderen Euro, weil die deutsch klingende Firma nicht in Bielefeld, sondern in China sitzt. Da bleibt einem nur noch eins. Wütend das Altglas wegbringen und jede zerschmetterte Flasche einem Seelenfresser widmen. Bis man wieder zu sich kommt und denkt: eigentlich ist ja alles wie immer.

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